Christine Haller

Die konzentrierten Formen „verkörpern“, erinnern an Organe, sie sind präzise ausbalanciert, manchmal auf die Spitze der Unproportion gebracht, mit der Symmetrie spielend, entweder in ihrer Bejahung oder mit ihrer Verfehlung. Das Gezeichnete selbst ist Rhythmus, Atmung und Atempause, Arbeit mit dem Intervall: Übereinander gelegte Schichten von Graphit-Schraffuren in unterschiedlichen Bewegungsrichtungen, durchkreuzt von Pastellschraffuren, die sie verrücken, schwarzen Flächen aus Graphit, mit dem Skalpell rhythmisch zerschnitten, Flächen mit spitz in die Höhe gezogenen Punkten aus Ölfarbe, deren um sie herum ins Papier laufende Fettkreise sich in die schraffierten Flächen legen…

Die Skulpturen sind meist aus Baumstämmen gearbeitet, der Baum ist Körper und Gegenüber. Die grobe Vorarbeit wird mit der Motorsäge und einem Hohldexel (Rundaxt) gemacht, danach folgt die eigentliche Arbeit mit dem Holzbeitel. Die konzentrierten Formen der Skulpturen sind reduziert auf Innen - Außen, Organ – Haut, die mit dem Beitel gesetzten Linien schaffen Rhythmus. Das Gezeichnete und das Gemeißelte bringt die Form in Unruhe, macht sie vibratil, volatil, setzt sich über ihre Grenzen hinweg, löst sie auf: Die Form oder der Körper selbst ist passager, flüchtig, fragil, ein Ort der Passage, „une empreinte passagère de l‘ image“ (Georges Didi-Huberman). Hier ist die Luft das flüssige Material, der Atem modelliert: Von innen nach außen geworfen, in eine Weite entschwebend und umgekehrt, von dort nach innen in die Tiefe sich höhlend.

„Als durchliefe man die ganze Realität der Zeit, und währenddessen fühle sie sich an wie leerer Raum und leerer Ort, ... wie ein innerer, werdender Raum. Diese Ferne und diese Distanz, die die Mitte und das Prinzip der Verwandlung bilden, wo alles Innere sich im Außen entfaltet, in diesem Moment nimmt alles die Form eines Bildes an und das Wesen des Bildes ist es, ganz draußen zu sein, ohne Bedeutung, aber jeden möglichen Sinn hervorrufend.“ (Maurice Blanchot in „Le livre à venir“)

Zeichnungen und Skulpturen kämpfen um die Schwere des Körpers und um die Leichtigkeit des Hauchs, um einen intensiven (existentiellen) Moment. „ Die Frage der Skulptur? – Frage des Seinsorts und des Fossils: das Zeitwerden des Ortes, das Ortwerden der Zeit. Infolgedessen Frage der Sedimente, der Zwischenräume, der Kontakte. Sollte die Skulptur der Ort sein, an dem wir Zeit berühren?“ (Georges Didi-Huberman in „Schädel sein“).